Krimi-Autor aus Argentinien
und die Nadel im Heuhaufen
Gelebte Boshaftigkeit und absolute Güte
Bad Berleburg. (cw) Zum ersten Mal in der siebzehnjährigen Geschichte des Bad Berleburger Literaturpflasters war jetzt die Cafeteria der Odebornklinik Leseort für einen spannenden Krimi.
Begrüßt wurde Krimiautor Ernesto Mallo aus dem Buchmessen-Ehrengastland Argentinien. Gemeinsam mit seiner Übersetzerin Daniela Kreher und Mitorganisator Otto Marburger gelang es ihm, seinen 1976 entstandenen Kriminalroman "Der barfüßige Polizist von der Calle San Martin" aus einer unendlichen Vielfalt von Blickwinkeln zu betrachten. Das Werk heißt im Original übrigens "Die Nadel im Heuhaufen".
Der 62-jährige Theater-Autor und Redakteur platziert sein Werk in die Zeit der barbarischen Militär-Junta von 1976 bis 1983. Hauptpersonen sind der Commissario Lascano und sein forensischer Berater, der Pathologe Fusseli. Beide verbindet zunächst dienstlich ein oberflächlicher Austausch, der im Laufe der Berufsjahre inniger wird, denn der Tod, die Gewalt und die oft dahintersteckenden Verstrickungen, schweißen sie zusammen und führen zu einer Art freundschaftlicher Symbiose, die im Romanverlauf teils auch in humorvollen Dialogen ufert.
Lascano verlor seine im zweiten Monat schwangere Frau Marisa. Ihr Tod stürzte den Mann in ein emotionales Desaster und sein Ablenkungsmanöver aus der Trauer heraus bildete sein Beruf. In der Aufklärungstätigkeit eines Dreier-Mordes inmitten von Buenos Aires trifft er auf Eva. Hier glaubt er an ein Dejà-vu: er sieht Marisa und kommt nunmehr von diesem Gedanken nicht mehr los.
Ernesto Mallo versah den Krimi mit allerhand psychologischen Feinheiten. Nebenfiguren erscheinen plötzlich als zentrale Ausgangspunkte für gelebte Boshaftigkeit oder konträr als absolute Güte.
Der Autor lächelt verschmitzt in die große Publikumsrunde: "Ich flechte gern authentische Personen aus meinem Leben in die Szenerie ein und gebe ihnen natürlich auch die Namen aus der Realität. An den Boshaften räche ich mich somit ganz öffentlich in Schrift und Wort. Ich bin Halbitaliener, das sagt vieles über meine Rachsucht aus!"
Es ist Mallo in einzigartiger Krimiart gelungen, eine schier unglaubliche Menge an menschlichen Regungen, Stimmungen und Reaktionen zu verarbeiten. Von der Gefühlswelt der Melancholie macht er kleine Schritte zu Liebe, Wahnsinn, Gewalt, Hass, Korruption und Berechnung zurück zur kleinen Welt der Einzelfiguren, lässt sie hier wieder sie selbst sein und offenbart in inneren Monologen den Menschen Lascano, seinen Freund Fusseli und die Guerilliera Eva. Ein Aggressor ist auch Mensch, diesen Part vergisst Mallo niemals und es scheint zwischen den Zeilen, als fühle er mit den Gewalttätern und den Mördern in seinem Krimi ein wenig Mitleid.
Die argentinische Wirtschaftskrise trieb Ernesto Mallo dazu, ein geplantes Drehbuch in diesen Roman umzubauen. Denn kaum einer ging während der Junta in Kinos.
Die philosophischen Ansichten im Publikumsgespräch fanden großen Anklang und es offenbarte sich die Nadel Menschlichkeit (das Individuum) im Heuhaufen Kriminalität (die Gesellschaft).
Das erquickende, gehaltvolle "Werkstattgespräch" hätte eigentlich nach 90 Minuten sein Ende finden sollen. Hätten die Veranstalter hier nicht "interveniert", Publikum und Autor hätten aus Tiefsinnigkeit den abendlichen Rahmen gesprengt.
Fazit: kein Literaturliebhaber sollte achtlos an dem "barfüßigen Polizisten" vorbeigehen. Reinlesen macht hier süchtig.
Von Christiane Weinhold