Schnellsprecherin Claudia Piñeiro
sorgte für Höhepunkt des Literaturpflasters

Drei tote Männer im Pool

Zwischen zwei wichtigen Terminen bei der Frankfurter Buchmesse schaute die argentinische Autorin Claudia Piñeiro in Bad Berleburg vorbei. (SZ-Foto: Björn Weyand)
Zwischen zwei wichtigen Terminen bei der Frankfurter Buchmesse schaute die argentinische Autorin Claudia Piñeiro in Bad Berleburg vorbei. (SZ-Foto: Björn Weyand)

Bad Berleburg. (bw) Claudia Piñeiro hat eine ziemlich beeindruckende Biographie. Einst war sie eine "ganz unglückliche Wirtschaftsprüferin", wie sie selbst bei ihrer Lesung im Rahmen des Bad Berleburger Literaturpflasters am Montagabend zugab. Inzwischen hat sie sich zu einer der bedeutendsten und bekanntesten Schriftstellerinnen Argentiniens gemausert. Im Flugzeug habe sie eine Anzeige für einen Literaturwettbewerb entdeckt, erzählte Claudia Piñeiro. Ihr erstes Werk sollte ein erotischer Roman werden. Sie schaffte den Sprung unter die besten zehn Autoren des Wettbewerb, aber eine heutige Veröffentlichung ihres "Erstlings" kommt für Claudia Piñeiro nicht in Frage. "Einige Verlage wollen das Manuskript drucken, aber es ist einfach zu schlecht."

Besuch im Hotel "Alte Schule"

Viel lieber sprach Claudia Piñeiro bei ihrem Besuch im Hotel "Alte Schule" in Bad Berleburg über ihren aktuellen Roman "Die Donnerstagswitwen". Mit rasender Geschwindigkeit las die Autorin eine Passage vor, die von Moderatorin Kirsten Brandt in der deutschen Übersetzung zitiert wurde und in der nicht weniger als drei Männer tot in einem Pool treiben. Der Roman sei dennoch kein Krimi, so Claudia Piñeiro. Es gehe nicht um die Frage: "Wer war es?" Die Geschichte drehe sich vielmehr um die Umstände, die zu einer solchen Tragödie führen können. "Die Donnerstagswitwen" erzählt von einer perfekten, heilen Scheinwelt in den etwas nobleren Vierteln von Buenos Aires. Unter der Oberfläche lauere das Grauen, so Claudia Piñeiro. Mit der schlimmen Wirtschaftskrise, die vor einigen Jahren Argentinien erfasste, brach die Fassade in sich zusammen. "Die Seifenblase platzte", sagte Claudia Piñeiro. Der Roman "Die Donnerstagswitwen" spielt im Jahre 2001, geht aber bei der Suche nach dem Grund für die toten Männer im Pool zurück in die 90er Jahre.

Claudia Piñeiro beschäftigt sich in ihren Romanen mit einer urmenschlichen Frage: Wie verhalten sich normale Menschen in Extremsituationen und wozu sind sie dann fähig? Leser suchen Helden zwar vergeblich, aber auch die Bösen kommen in den Romanen nicht vor, obwohl die Handlungen durchaus bösartig sind. Wie in dieser kleinen Szene in ihrem ersten Roman "Ganz die Deine", in dem die Hauptfigur sich an einen Dialog ihrer Eltern erinnert. Ihre Mutter fragte ihren Vater, ob irgendetwas sei. "Allerdings", antwortet dieser, "ich kann Deinen Anblick nicht mehr ertragen." So verletzend können Worte sein. "Mal Dich selbst und Du malst die Welt", zitierte Claudia Piñeiro, "so sagt man in Argentinien." Ob dieser Spruch tatsächlich, wie sie glaubte, von Johann Wolfgang Goethe stammt, bleibt zwar fragwürdig. Die Intention dahinter ist aber klar: Jede Handlung ist auch ein Produkt der Umstände. So spielt die einstige Militärdiktatur in Argentinien in den Romanen von Claudia Piñeiro zwar eigentlich keine Rolle, doch indirekt klingt sie an. "Die Figuren würden sich nicht so verhalten, wie sie es tun, wenn sie nicht in der Militärdiktatur gelebt hätten", meinte die Autorin, die in Buenos Aires geboren wurde und heute 40 Kilometer vor den Toren der Stadt lebt.

Die Figuren seien nicht bösartig, meint sie, sondern eigentlich grau, durchschnittlich. Vielleicht auch deshalb kann sich der Leser in die Figuren hineinversetzen. "Es gibt zwei Arten, Mitleid für einen Bösen zu erzeugen", erklärte Claudia Piñeiro, "entweder ist seine Verhaltensweise nachvollziehbar oder alle anderen sind noch böser." Wie bei Hannibal Lecter zum Beispiel. "In dem Roman, den ich jetzt schreibe, sind aber alle gut", versicherte Claudia Piñeiro.

Der Ausgang eines Buches sei ein Bild. Bei "Die Donnerstagswitwen" hatte sie das Bild eines Toten im Pool im Kopf. "Recherche ist wichtig", fand die Autorin. Sie habe mit dem Bild im Kopf einen Elektriker angerufen und ihn gefragt, was wohl passieren muss, damit drei Menschen in einem Pool von einem Stromschlag getötet werden, ohne dass die Sicherung vorher rausfliegt. Der Elektriker sei zwar zuerst etwas erstaunt gewesen, habe dann aber sogar schriftlich eine "Expertise" abgegeben. Die Detailversessenheit, die plastischen Schilderungen und die wechselnden Ansichten prägen die Werke von Claudia Piñeiro. Dafür mögen sie die Kritiker wie ihr Publikum gleichermaßen. Auf der Frankfurter Buchmesse erhielt sie erst am Sonntag den Liberaturpreis für ihren Roman "Elena weiß Bescheid". Dieser Leserpreis wird an Autorinnen aus Lateinamerika, Asien oder Afrika vergeben. Dass Claudia Piñeiro den Preis nicht zufällig erhalten hat, erlebten die Gäste bei der Lesung in Bad Berleburg hautnah.

Von Björn Weyand


Siegener Zeitung (06.10.2010)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Fotos (2) von Björn Weyand (bw)

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