Raúl Argemí im Sanitätshaus Kienzle

Eine Achterbahnfahrt der Gedanken und Sinne
Ein Mann, vom Schicksal hart gezeichnet

Raúl Argemí (l.) im Gespräch mit Gerd Gerhard, der selbst einige Jahre in Südamerika verbrachte. (WP-Foto: Christiane Weinhold)
Raúl Argemí signierte nach der Lesung bereitwillig einige Exemplare seines aktuellen Romans 'Und der Engel spielt dein Lied'. (WP-Foto: Christiane Weinhold)
Raúl Argemí mit seiner Übersetzerin Susanne Mende. (WP-Foto: Christiane Weinhold)

Bad Berleburg. (cw) Raúl Argemí (* 1946 in La Plata), ein sehr ernst wirkender Mann, ein wenig unscheinbar, nicht von auftrumpfender Natur getrieben, betritt mit seiner Übersetzerin Susanne Mende den Verkaufsraum des Sanitätshauses Kienzle in der Berleburger Sählingstraße.

Zunächst schaut er in die Runde, eine solche Masse an lesehungrigem und wissbegierigem Publikum hat Argemí in der kleinen Stadt nicht erwartet. Er scheint ein wenig überwältigt, nimmt jedoch Platz und lässt während der Begrüßungsworte der Buchhändlerin Monika Klafki (Buchhandlung MankelMuth) die Atmosphäre auf sich wirken.

Anders als in den vorangegangenen Lesungen wissen die Menschen hier von einem Mann, der vom Schicksal hart gezeichnet ist. Raúl Argemí war bereits vor der argentinischen Militärjunta politisch stark engagiert. Das brachte ihm 1974 die Inhaftierung, die erst 1984 aufgehoben wurde.

Im Verlauf dieser Gefängniszeit hat er Grausames erlebt, Folter der unterschiedlichen Färbung ertragen müssen. Nach seiner Freilassung lebt er noch 16 Jahre in Argentinien, kehrt aus Enttäuschung und Wut über die Unbelehrbarkeit von Volk und Regierung in das Land seiner Vorfahren zurück, nach Spanien, genauer Barcelona. In Berleburg ist das Publikum erstaunt über seine Haltung, die er heute wahrt. Doch in seinen Büchern legt er vieles dar, was sich über die Haftzeit angestaut hat. Doch er machte sich einen raffinierten Trick zu Nutze: die Briefe, die er an seine Familie und Freunde schrieb, spickte er sozusagen mit seitenlangen Buchinhalten, die er heimlich verfasste.

"Und der Engel spielt dein Lied" - ein geradezu zynischer Titel für einen Roman über Korruption und Kriminalität bis in die Polizei- und Regierungsetagen. Er gleidert den Roman in drei unterschiedliche Teile. Der erste umschreibt die gemeine Kriminalität in Argentinien, geht über zu einer Liebesgeschichte nach Art einer griechischen Tragödie und mündet schließlich in der Geschichte der Emigration.

Anschaulich werden die Kontakte des "El Negro", sein Name erzählt schon seine schwarze Vergangenheit und seine Gegenwart, verknüpft mit dem Drogenmafioso Polaco. Das düstere Szenario ist Part Argemís Dasein selbst, obwohl Vergangenheit, wirkt das Unheilvolle hier bis ins mikroskopisch Kleine nach.

Mit sprachlichen Kniffen geizt er nicht, gewöhnt sich beim Verfassen des Romans eine verbrecherische Ausdrucksweise an, die gar professionell klingt. Eine Menge Lebensweisheit, die die Hauptpersonen El Negro, Polaco und El Negros "Paraguaya" Irma tradieren. Ein Durcheinander der Gefühle, der kriminellen Aktionen, aber auch der Freundschaft bis zum Letzten und im Hintergrund das Militär, nicht als Randerscheinung, sondern als bitterböser Steuerknüppel für all das Übel, was dem argentinischen Volk widerfährt und es selbst zu reißenden Bestien werden lässt. Raúl Argemís eigene Worte bekommen tragende Bedeutung: Gut und Böse sind überall austauschbar. Selbst Susanne Mende ist von der vielschichtigen Handlungsführung des Romans absolut überzeugt und hat mit Hingabe das Werk übersetzt.

Die Erzählung sog den Zuhörer in die Unterwelt, förderte ihn in der Liebesgeschichte mit der dominanten Irma wieder ans Tageslicht bis er abermals vom großen Rachen Hass und Gewalt wieder verschluckt wurde. Eine Achterbahnfahrt der Gedanken und Sinne, doch der interessierte Leser möge sich hier selbst überzeugen.

Außer Frage steht nach der letzten verklungenen Silbe, dem gesprochenen Wort und der literarischen Aufarbeitungen dunkelster argentinischer Jahre: die Veranstaltergemeinschaft hat wieder einmal Großartiges geleistet, wobei die Besucherzahlen der Veranstaltungen hier einen eindeutigen Hinweis geben. In Wittgenstein wird viel gelesen, das Interesse am Exotischen auch in der Literatur ist außergewöhnlich und die "kleine Buchmesse im Ländchen" ist längst ein Highlight auf kulturellem Sektor.

Von Christiane Weinhold


WESTFALENPOST (07.10.2010)
Internet: www.derwesten.de/staedte/bad-berleburg/
Bildquelle: WP-Fotos (3) von Christiane Weinhold (cw)

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