Literaturpflaster-Lesung von Ernesto Mallo:
Vom Leben und Lieben in einer Diktatur
Bad Berleburg. (al) "Ich weiß, dass man töten muss, ja. Aber wen?" Die zwei Zeilen wurden 1976 niedergeschrieben, dem Jahr, in dem die letzte Militärdiktatur in Argentinien begann und stehen zu Beginn des preisgekrönten Kriminalromans "Der Tote von der Plaza Once" von Ernesto Mallo. Das Werk behandelt die Diktatur in einer neuen Form, klagt nicht an, verurteilt nicht.
Die Diktatur sei lediglich die Landschaft, in der die Geschichte spielt, so der argentinische Schriftsteller, der am Donnerstag im Rahmen des Literaturpflasters in der Cafeteria der Bad Berleburger Odebornklinik zu Gast war und sein Werk, das in der Zeit der Folter und Morde in Buenos Aires spielt, vorstellte. Rund 60 Zuhörer hingen dem Argentinier gespannt an den Lippen und deckten sich anschließend mit dessen Werken ein.
Im spanischen Original trägt das Buch den Titel "La Aguja en el Pajar" ("Die Nadel im Heuhaufen"). Mallo, 1948 geboren, war während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 selbst gezwungen, im Untergrund zu leben, zog jedoch nicht an den Rand der Stadt, sondern lebte mitten unter den Militärs - mit Anzug und Krawatte sah er aus wie sie - eine Nadel im Heuhaufen eben. So ist das Werk nicht nur Aufarbeitung des kollektiven Leids des Argentinien der damaligen Zeit, es trägt auch Züge der persönlichen Erfahrungen des Autors mit sich.
Die Nadel im Heuhaufen - ebenfalls eine Referenz auf die Hauptfigur Kommissar Lascano, der inmitten korrupter Militärs einzig an die Ehrlichkeit glaubt. Seine Frau und sein ungeborenes Kind verloren, versucht er, trotz der Narben, durch seine Aufgabe als couragierter Polizist ein wenig Gerechtigkeit in die Welt zu bringen.
Die zentrale Idee der Kriminalgeschichte: Eine Leiche wird zwischen zwei weiteren Leichen, die der Diktatur zum Opfer fielen, versteckt. Von den drei Toten passt einer einfach nicht dazu. Nach umfangreichen Ermittlungen wird Lascano diesem auf die Spur kommen.
Eine Geschichte über Schmerz, Trauer und den scheuen Versuch, wieder zu leben und zu lieben. Mallo erzählt eine Geschichte der Gewalt, aber auch der Zärtlichkeit und gewährt seltene Einblicke in gesellschaftliche Strukturen des Argentinien dieser Zeit. So charmant und humorvoll die Geschichte trotz des Themas in manchen Zügen geschrieben ist und einzelne Personen dargestellt werden, so erschien den Gästen des Literaturpflasters am Donnerstagabend auch der Autor selbst. Die Stimmung, die der Argentinier bei der Lesung durch Stimme, Mimik und Gestik herüber brachte, überschritt alle Sprachbarrieren und kreierte trotz mangelnder Spanischkenntnisse der wohl meisten Zuhörer eine vor Spannung geladene Atmosphäre.
Den deutschen Part übernahm Otto Marburger. Er las einige Ausschnitte des Werkes, das ursprünglich als Drehbuch für einen Kinofilm gedacht war, vor. Daniela Kreher übersetzte ins Spanische.
Ernesto Mallos Roman ist eine lesenswerte Kriminalgeschichte, die sowohl Spannung als auch Gefühl verspricht. In der Fortsetzung "Der barfüßige Polizist von der Calle San Martin" gehen Kommissar Lascanos Ermittlungen weiter.
Von Anna Lena Krämer