Raúl Argemí las jetzt aus seinem Buch
"Und der Engel spielt dein Lied"
"Wir werden nicht Ruhe geben"
Der bekannte Autor sorgte für einen eindrucksvollen Abend
im Sanitätshaus Kienzle.
Bad Berleburg. (schn) Sein Werk ist autobiographisch und doch spielen andere Menschen darin die Hauptrolle. Seine Sprache ist authentisch und doch ist sie eine literarische Aufbereitung. Er beschreibt viel und detailliert und doch sind seine Beschreibungen verdichtet, verzichten auf alles Überflüssige. "Wenn du ein Adjektiv weglassen kannst, dann solltest du es auch tun", sagte Raúl Argemí. Auf diese eindrückliche Weise beschreibt der Autor seine Heimat Argentinien.
Sein Roman nahm die Menschen am Dienstagabend mit in ein Land, das den meisten Wittgensteinern wohl in dieser Form völlig unbekannt ist. Raúl Argemí beschreibt in ihm das Argentinien des Jahres 1978, zur Zeit der Militärdiktatur Jorge Rafael Videlas. Der Schriftsteller war selbst im Widerstand, ging 1974 ins Gefängnis, für zehn lange Jahre. Vergessen hat er die Zeit bis heute nicht, er hat nicht vergeben, er hat noch Rechnungen offen. "Wir werden nicht Ruhe geben, bis sie nicht alle hinter Gitter sind", sagte er am Dienstag, als das Bad Berleburger Literaturpflaster im Sanitätshaus Kienzle Station machte und er und die Übersetzerin Susanne Mende, aus seinem neuesten Buch "Und der Engel spielt dein Lied" lasen.
Raúl Argemí hat trotz seiner eigenen Geschichte widerstanden, eine Klageschrift zu schreiben, mit dem erhobenen Zeigefinger auf die Jahre der Diktatur zu verweisen. Folter, Verschleppung, Repression kommen in "Und der Engel spielt dein Lied" nur am Rande vor und wirken vielleicht deshalb noch eindrücklicher. Der Irrwitz der argentinischen Gesellschaft, in der sich Militär und Polizei in dunkle Geschäfte verstricken, in der der Staat die "kleinen" Verbrecher verdrängt, in der sich die Kriminellen mit den "Ordnungshütern" arrangieren müssen, um über die Runden zu kommen, nimmt dagegen Raum ein. Die Kriminellen haben ihre eigenen Geschichten. Wie sind sie geworden, was sie sind? Was haben Mafia und Frauenhandel damit zu tun, Einwanderung und Armut? In diesem Umfeld beginnt die Handlung rund um El Negro, den Protagonisten. Mal erzählt El Negro selbst, mal erzählt der allwissende Erzähler. Der Wechsel von Zeiten und Perspektiven ist gewollt.
Raúl Argemí beschreibt eindrücklich, die Bilder sind treffend, die reduzierte Art hält den Takt, den Rhythmus des Buches hoch. Dieses Gefühl kann auch die deutsche Übersetzung von Susanne Mende transportieren, man muss also nicht des Spanischen mächtig sein, um das Gefühl des Autors nachempfinden zu können. Auch wenn es um Kleinkriminelle geht, um eine Liebesgeschichte, um Stolz, inszeniert als griechische Tragödie, so ist das Buch immer auch biographisch und autobiographisch. Raúl Argemí verarbeitet eigenes Erleben, eigene Lebenswirklichkeit, er verarbeitet aber auch die Lebensläufe seiner Mitmenschen. Und er hat eigene Wünsche einfließen lassen.
So ist die weibliche Hauptfigur eine starke, unabhängige Frau, die sich Freiheiten für ihr Leben nimmt. Nach der Veröffentlichung des Buches habe er seine eigene Frau kennengelernt, ein Abbild der weiblichen Protagonistin seines Buches, so Raúl Argemí.
Die Bad Berleburger waren beeindruckt von dem argentinischen Autor, der seit zehn Jahren in Spanien lebt. Weil er vom neuen, neoliberalen Argentinien die Nase voll gehabt habe und weil er seine Bücher veröffentlichen wollte, sei er nach Barcelona gegangen, machte er abschließend deutlich.
Nach seiner eindrucksvollen Lesung erhielt der Autor den Bad Berleburger Literaturpflasterstein, den er nun mit in seine neue Heimat mitnehmen wird.
Von Guido Schneider