Argentinischer Tango-Abend bildete den letzten Akt des Bad Berleburger Literaturpflasters 2010

Verwegen und anstössig

Bad Berleburg. (cw) "Der Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann", so umschreibt den verruchten bis hypersensiblen Körperausdruck der bulgarische Pianist Georgi Mundrov.

Wie verwegen, anziehend, aber auch anstößig dabei das Tango-Paar Fabiana und Julio die Geschichte der Berührungen in Hüfthöhe sahen und erlebten zum "letzten Takt des Literaturpflasters 2010" gut 200 begeisterte Argentinien-Fans im Berleburger Bürgerhaus. Wenn sie es bis zum Beginn der inzwischen zur Tradition gewordenen Veranstaltungsreihe begleitend zur Frankfurter Buchmesse nicht waren, so sind die Literatur- und Kulturfreunde in Bad Berleburg es ab jetzt.

Ein Hauch von Erotik, Körperbeherrschung und Seelensprache: so tanzten Fabiana und Julio zu den Tango-Melodien der drei Begleitmusiker Georgi Mundrov, Jorge Galbassini und Patricio Banda. (WP-Foto: Christiane Weinhold)

Tango, ja, den kennen die Menschen, ein erotisches Gebilde, was irgendwann mal aus Argentinien nach Europa schwappte. Doch welche Geschichte und welche Schicksale in der Entwicklung des Tanzes stecken, weiß so gut wie niemand. In Berleburg ist man da nun aufgeklärter. Die Einsamkeit, die Sehnsucht vieler männlicher europäischer Einwanderer in Argentinien brachte es mit dem Tango auf den Punkt. In Bars und Kneipen eroberten die tagsüber Hartarbeitenden die Herzen und die Körper der nicht immer hübschen und jungen Frauen.

Die Entwicklung des Tango nahm ihren Weg und rief so manches Mal die Polizei auf den Plan, wegen moralischer Unzucht. Geburtshelfer des Tango allgemein sind die Polka und die Mazurka. Hier flossen Bewegungsabläufe der osteuropäischen Volkstänze weitestgehend mit ein, das war ab der Mitte des 19. Jahrhunderts so. Später dann gesellten sich auch noch schwarzafrikanische Klänge in das Spiel von Bandonéon, Gitarre, Klavier und Kontrabass mit ein, somit entstand der Tango-Bastard.

Hätte der Tango nicht bereits vor dem Ersten Weltkrieg seinen weltweiten Siegeszug angetreten und hätte er nicht die Akzeptanz über die Pariser Bars und Lokalitäten erreicht, in Berleburg wäre es ein Stück weit leiser und weniger farbenfroh gelaufen.

Der König des Tango Nuevo und Libert Tango, Astor Piazzola, komponierte die herrlichsten Melodien, mit tiefem Blick auf traurige Seelen und Momente der Glückseligkeit. Er ließ genau wie seine Tango-Kollegen Pablo Ziegler, Carlos Gardel, Roberto Goyeneche und Luis Borda einen Hauch vom Ablenken wirtschaftlicher Probleme, Kriegsproblematik und dem Sehnen nach Heimatländern wie Spanien, Portugal oder slawische Staaten zurück in Berleburg.

Es schien alles perfekt in der Choreographie von Fabiana und Julio, dennoch sind die Tango-Variationen, die sie auf die Bühne brachten zum größten Teil improvisiert. Der Mann führt im Tanz, die Bewegungen der Frau ergeben sich aus Gesten und Andeutungen, daher ist es überaus wichtig, dass der weibliche Part die gesamte Aufmerksamkeit auf den Bewegungsablauf des Partners lenkt, um seine Schrittfolge und schließlich den kompletten Körperausdruck aufzufangen.

Sie tanzten anmutig zu den Klängen von Georgi Mundrov (Piano), Jorge Galbassini (Bandonéon) und Patricio Banda (Kontrabass), schwarz-rot gekleidet, Farben der Erotik und der sensitiven Psyche.

In der Regel tritt das Ensemble in größerem Personenaufgebot mit seinem Projekt "El lado oscuro del corazòn" auf, doch die räumlichen Verhältnisse und die Bühnengröße erlaubte in Berleburg nur dem Tanzpaar Fabiana Jarma und Julio Gordillo, den drei Musikern und dem Moderator Michael Hohmann, der die Geschichte des Tango mit seinen Hochs und Tiefs hervorragend darstellte, den Platz.

"Ein wundervoller Ausklang für das eindrucksvolle 'Literaturpflaster 2010'", so umschrieb es auch Bettina Born, die stellvertretend für die gesamte Veranstaltergemeinschaft ein herzliches Dankeschön an Künstler und treues Publikum richtete.

Von Christiane Weinhold


WESTFALENPOST (26.10.2010)
Internet: www.derwesten.de/staedte/bad-berleburg/
Bildquelle: WP-Foto von Christiane Weinhold (cw)

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