Nummi las aus "Am Anfang ein Garten"

Die Liebe erklären
Erste Lesung beim Literaturpflaster 2014.

Der finnische Autor Markus Nummi war zu Gast in der Berleburger Backstube Wahl. Beim Literaturpflaster stellte er sein Buch 'Am Anfang ein Garten' vor. (SZ-Foto: Beatrix Achinger)

Bad Berleburg. (bea) Während der ersten Lesung des diesjährigen Bad Berleburger Literaturpflasters hielt der finnische Gegenwartsautor Markus Nummi seinen Roman "Am Anfang ein Garten" mehrmals aufgeschlagen hoch. Dabei blickte das vielköpfige Publikum in der wohlig-warmen Backstube des Cafés Wahl nicht auf schwarz gedruckte Worte, die von der finnischen Winterdunkelheit oder dem Leben der Bewohner eisiger Meeresbuchten erzählten, sondern auf eine Fotografie: das Abbild einer Menschengruppe, fotografiert 1906 vom später sechsten finnischen Präsidenten, Carl Gustaf Emil Mannerheim, in einem Garten der Stadt Kashgar in Chinesisch-Turkestan, das zwischen dem heutigen Afghanistan und der Mongolei liegt. Mannerheim hatte als Spion eines russischen Zaren gearbeitet und seine Tätigkeit im damaligen Bürgerkrieg unter dem Mantel wissenschaftlicher Feldforschung getarnt. Für den Autor erzählt dieses Foto viele Geschichten. Tatsächlich zeigt es unter anderem französische Forschungsreisende, schwedische Missionare und eine Familie aus der Provinz. Viele Figuren blicken in unterschiedliche Richtungen, zwischen manchen ist bei genauerem Betrachten eine Interaktion zu erkennen. "Als ich es nur lange genug anschaute, entdeckte ich plötzlich im rechten Bildrand Kamil und Rahila", erklärte Markus Nummi.

Kamil und Rahila, das sind die Protagonisten seines 600 Seiten umfassenden Romans, der vor wenigen Wochen in der Übersetzung (des auch in Berleburg anwesenden) Stefan Mosters im Insel-Verlag erschienen ist. Kamil und Rahila begegnen sich im Jahr 1903 als Waisenkinder in einer schwedischen Missionarsstation. Die beiden Kinder leben dort zwischen zwei Kulturen: bei christlichen Missionaren und zugleich in der zentralasiatischen Karawanserei, die von strenggläubigen Muslimen bevölkert ist. Zwischen Kamil und Rahila entsteht eine enge Bindung, doch mit den Jahren ist Kamil zur Flucht gezwungen. Rahila gibt Nora in seine Obhut, ein junges Mädchen, das mit der Karawane nach Süden flüchten soll. Während die beiden durch Taklaman-Wüste und Gebirge ziehen, ungewiss, wann und ob sich ihr Ziel auftut, möchte Nora plötzlich alles wissen. Vom Leben, von der Freundschaft. Aber vor allem von der Liebe. Irgendwann bricht Kamils Verschlossenheit auf, und er erzählt dem Mädchen von Rahila. 1941 begegnen sich die Liebenden wieder, am Ende des Romans.

Woher er den Mut nehme, sich solchem Raum und solcher Kultur zu widmen, fragte Stefan Moster, der die Veranstaltung moderierte. "Den Mut musste ich sammeln." Markus Nummi sei auf Geschichten dieser Zeit gestoßen, besonders auf Aufzeichnungen aus den schwedischen Missionsstationen. "Das Interessante als Autor ist, dort weiterzumachen, wo die Dokumente aufhören", erklärte er. Zehn Jahre lang hat er an dem Roman gearbeitet. Fünf Jahre davon waren Schreibzeit, im Jahr 2000 ist er selbst nach Kashgar gereist.

Nach Mutlosigkeit und kreativen Pausen fragte eine junge Dame aus dem Publikum und traf damit einen wunden Punkt. Tatsächlich hat Markus Nummi sein Manuskript zwei Jahre lang niemandem gezeigt, ohne Aussicht auf den Abschluss seiner Geschichte. Seine Lösung: "Ich musste den Figuren folgen." Auch der Schüssel zu seiner einfachen, bisweilen humorigen Schreibweise liege in den Figuren. "Ich musste durch die Augen des Kindes blicken. Wie würde ein Kind nach der Liebe fragen? Und ich musste aus dem 38-jährigen Protagonisten Kamil sprechen. Wie würde ein Erwachsener einem Kind die Liebe erklären?"

Am Ende des Abends überreichte Bettina Born im Namen der Kulturgemeinde dem Übersetzer Stefan Moster und Markus Nummi, dessen Vater Pflasterer ist, jeweils einen Literaturpflasterstein. Gastgeber Andreas Wahl könnte bald pflastern, denn er erhielt den Stein zum fünften Mal und will seine Backstube auch 2015 wieder zur Verfügung stellen.

Von Beatrix Achinger


Siegener Zeitung (18.09.2014)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Beatrix Achinger (bea)

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